Hagemeister: Die Klinker-Architekten

Der Baustoff Klinker ist seit fünf Jahrtausenden bekannt und bietet Beständigkeit, Widerstandskraft sowie die Möglichkeit, großartige Gebäude in immer neuen Farbwelten zu schaffen. Klinkerobjekte, die im Abendlicht komplett anders changieren als bei Tage und die unzähligen Wege, mit diesem Farbspiel zu arbeiten, bewegen noch heute zahlreiche Architekten dazu, diesen Baustoff für ihre Vision zu wählen. Die Besonderheit dieses Werkstoffes und seine Schaffenskraft sind nur zwei von vielen Faktoren, die die Familie Hagemeister seit über 150 Jahren antreibt, leidenschaftlich Klinker zu produzieren. Im baustoffPARTNER-Interview mit Dr. Christina Hagemeister wurde schnell deutlich, wie viel Bewegung in dem Produkt Klinker steckt und welche Innovationen wir aus dem Werk in Nottuln in Nordrhein-Westfalen erwarten können.

Lesedauer: min
Von: Christine Seif

Das Klinkerwerk Hagemeister ist in der Umgebung einer der größten Arbeitgeber und beschäftigt insgesamt 182 Mitarbeiter. An der Spitze des Familienunternehmens stehen Dr. Christina Hagemeister und ihr Cousin Christian ­Hagemeister, die sich die Geschäftsführung teilen. Christina ­Hagemeister hat ihr Betriebswirtschaftsstudium in Münster aufgenommen und 2003 promoviert. Im Jahr darauf folgte die aktive Entscheidung, gemeinsam mit ihrem Cousin die Führung im Familienunternehmen zu übernehmen.

»Ich wurde nie gedrängt, in das Unternehmen mit einzusteigen«, erinnert sie sich, »mir standen alle Wege offen. Doch ich wollte die Chance nutzen, die sich mir bot. Einen so erfolgreichen Betrieb zu übernehmen, eigene Ideen mit einzubringen und sich entfalten zu können, das ist eine Gelegenheit, die sich nicht jedem bietet.« Chancen nutzen, nach vorne blicken und Innovatives leisten – das liegt wohl im Blut der Familie. »Schon in den 1960er-Jahren, als mein Onkel in den Familienbetrieb mit einstieg, begann eine neue Ära der Klinkerproduktion, denn er nahm die erste vollautomatische Setzanlage Deutschlands in Betrieb.« Heute ist das Klinkerwerk in Nottuln einer der größten freistehenden Produktionsstandorte für Klinker in Europa.

Nachhaltiges Handeln für zukünftige Generationen

»Wir haben vier Brennöfen und sind in der Lage Großprojekte in der ganzen Welt zu beliefern und das mit Klinkern in höchster Qualität«, so Hagemeister, »doch wir möchten nachhaltig agieren und den Blick ­Richtung Zukunft richten. Die Herausforderungen des Klimawandels betreffen uns alle und besonders für den Brennvorgang wird viel Energie benötigt. Hier laufen bereits Forschungsprojekte in großem Rahmen, um die Brennöfen von Erdgas auf Wasserstoff umzustellen.«

Dabei ist der Klinker als Baustoff generell ein nachhaltiger. Er ist dauerhaft beständig, ästhetisch attraktiv, wartungsfrei und sogar recycelbar. Das Klinkerwerk bezieht die benötigen, natürlichen Rohstoffe von nationalen Partnern, oft sogar aus eigenen regionalen Gruben. Dadurch entfallen lange Transportwege. Doch das ist der Geschäftsführerin nicht genug. »Wir haben viele Bausteine, die dazu dienen unseren CO2-Abdruck so gering wie möglich zu halten. Z. B. unsere in sich geschlossenen Wasserkreisläufe, die das Wasser nach Reinigung und Aufbereitung wieder in den Produktionsprozess zurückführen, sodass wir weniger zusätzliche Ressourcen benötigen, um unsere Klinker herzustellen.«


Doch auch weniger offensichtliche Chancen zur Verbesserung werden genutzt. Um den innerbetrieblichen Transport und die Lagerung noch effizienter zu gestalten, hat Hagemeister kürzlich in ein hochmodernes Intralogistik-System investiert. »Es ist weltweit eines der modernsten Systeme dieser Art – jede Palette ist GPS-gesteuert und das System bucht selbstständig alle Warenbewegungen. Es bietet uns völlige Transparenz über Lagerbestände, eine fehlerfreie Verladung und viele weitere Vorteile. So kann die gesamte Logistik deutlich effizienter gestaltet werden, was wiederum eine noch bessere Lieferfähigkeit für den Kunden bedeutet.«

Der Kunde im Fokus – weltweite Projekte realisieren

Die Absatzzahlen von Hagemeister sprechen für sich, weltweit erfreut sich der Klinker großer Beliebtheit. Rund 132 000 Tonnen wurden im vergangenem Jahr im Werk in Nottuln produziert und es wird immer mehr. »Letztes Jahr haben wir in 15 Länder geliefert – am weitesten entfernt war ein Projekt in Buenos Aires, eine moderne Villa.« Kein Wunder, denn Klinker bieten dem Architekten nahezu unerschöpfliche Gestaltungsmöglichkeiten durch Farbe, Format, Verband, Fuge oder Harmoniebreite mit anderen Materialien. »Es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, diese Leistungsfähigkeit und Vielfältigkeit zu kommunizieren.« Die Begeisterung der Geschäftsführerin für das Produkt wird an dieser Stelle ganz deutlich. »Wir haben einen hohen Anspruch an uns selbst und an unser Produkt. Wir wollen dazu beitragen, dass schöne sowie wertige Gebäude entstehen und versuchen die Vorstellungen der Architekten genau umzusetzen.« Und diese Vorstellungen sind zum Teil recht ausgefallen – Christina ­Hagemeister erinnert sich dabei an zwei besondere Anfragen. »Ein russischer Architekt hat sich für sein Projekt eine Fassade gewünscht, die aussieht wie eine aufgebrochene Brotkruste. Und ein Verwaltungsgebäude in der Schweiz sollte eine Klinkerfassade erhalten, die wie ein anthrazit-farbener Nadelstreifen-Anzug schimmert. Das sind für uns besonders spannende Projekte, die wir immer mit viel Herzblut angehen, um dann den perfekten Klinker zu gestalten.« Im Gespräch wird klar, der Klinker muss den Vergleich mit anderen Baustoffen nicht scheuen.

»Ich denke die zweischalige Wand mit Klinker kann es locker mit modernen Fassaden aufnehmen – gerade durch seine Langlebigkeit. Ist die Haltbarkeit moderner Fassadensysteme oft auf einige Jahrzehnte begrenzt, überlebt der Klinker meist Generationen. Zudem kann er auch in Sachen Recycling punkten. Wir recyceln eigene Produktionsreste direkt bei uns im Haus. Aber auch ausgediente Klinker können wiederverwendet werden, Stichwort ›urban mining‹. Besonders hierauf sollte der Fokus der Forschung gerichtet werden.« Trotzdem es sich um ein recyceltes Produkt handelt, kann der sog. »Upcycling Brand« von ­Hagemeister in Form, Farbe und Oberflächenstruktur an die Wünsche des Kunden angepasst werden.

Geschäftsjahr 2020 trotz Herausforderungen auf Vorjahresniveau

In Zeiten von Rohstoffknappheit und einer enormen Verteuerung von beispielsweise Holz oder Stahl bzw. extremen Lieferengpässen für verschiedene Baumaterialien hat das Klinkerwerk Hagemeister einen entscheidenden Vorteil. »Wir beziehen Rohstoffe national und sind von der derzeitigen Rohstoffknappheit nicht unmittelbar betroffen. Allerdings spüren wir die Auswirkungen durch Verzögerungen auf den Baustellen, die durch andere Materialengpässe entstehen. Die aktuelle Situation zeigt, wie komplex das Abhängigkeitsverhältnis unterschiedlicher Zulieferer und Gewerke auf der Baustelle geworden ist. Auch hier kommt uns unser hochmodernes Tracking-System zu Gute, um Komplexität zu reduzieren und unseren Kunden Sicherheit zu geben. Egal was auf der Baustelle passiert – wir behalten die für den Kunden reservierte Ware palettengenau im Blick. Auch wenn es auf der Baustelle zu Verzögerungen kommt. Wir lagern die Klinker hier bis zum Abruf ein und liefern dann aus, wenn es am Bau weitergeht«, so Hagemeister.

Nicht nur die Baumaterial-Krise, auch die Corona-Pandemie hat das Unternehmen glücklicherweise nur am Rande gestreift. »Zu Beginn der ersten Corona-Welle haben wir sofort einen Pandemie-Manager ernannt und auch durch unsere überschaubare Unternehmensgröße sind wir gut durch die Pandemie gekommen, sowohl was die Gesundheit aller Mitarbeiter betrifft, als auch die Geschäftslage.« Weiterer Vorteil des Unternehmens war, dass Digitalisierung hier bereits vor Corona ein großes Thema war. »Wir sind digital gut aufgestellt, so war es kein Problem, den Mitarbeitern, die nicht in die Produktion eingebunden sind, von heute auf morgen die Arbeit aus dem Homeoffice zu ermöglichen.« Insgesamt zeigt sich die Geschäftsführerin mit dem Jahr 2020 zufrieden und auch die Prognosen für 2021 sind bis jetzt stabil. »Wir können noch nicht genau abschätzen, ob sich die Rohstoffknappheit mit weiteren Verzögerungen auf den Baustellen auswirken. Aber sicherlich wird sich die enorme Gesamtpreissteigerung des heutigen Bauens auf die Zahl der Neubauten mittelfristig auswirken – gerade im EFH-Bereich. In unserer Firmengeschichte hat es immer wieder große konjunkturelle Schwankungen gegeben. Und ich bin mir sicher, dass wir auch die aktuelle sowie die kommende Situation meistern werden.«

Ab Februar 2022 wieder Architekten-Seminare geplant

Positiv gestimmt ist Hagemeister auch, wenn es um die bekannten Architekten-Seminare des Unternehmens geht. Diese Veranstaltungsreihe war in den vergangenen 16 Jahren immer ein fester Bestandteil des Jahreskalenders. Aufgrund von Corona konnten zwei dieser Seminare jedoch nicht stattfinden. Nun gibt es auch hier gute Neuigkeiten: »Wir sind optimistisch, dass wir die Architekten-Seminare bald wieder aufnehmen können und stecken bereits mitten in den Planungen. Aktuell ist die nächste Veranstaltung für März 2022 angedacht und das Dachthema soll dabei ›Nachhaltigkeit‹ sein.«

Die Zusammenarbeit und der Austausch mit Architekten wird bei ­Hagemeister insgesamt großgeschrieben und so finanziert das Unternehmen an der Hochschule Trier einen Stiftungslehrstuhl. Mit einem Studienjahrgang kam es dabei zu einem ganz besonderen Projekt. »Unter der Aufgabenstellung, neue Einsatzmöglichkeiten für einen Ziegel außerhalb der klassischen zweischaligen Wand zu kreieren, ist eine Ziegelschale entstanden. Diese Skulptur ist ein tolles Beispiel für die technische Leistungsfähigkeit des Klinkers. Architektonisch orientiert an der Formensprache von Frei Otto oder Calatrava, ist die Ziegelschale eine skulpturale, leicht erscheinende Konstruktion aus dem massiven Baustoff Klinker mit hervorragenden statischen Tragwerkseigenschaften. Dies wird durch ein cleveres Materialkonzept möglich, welches aus Klinker, Carbon-Gewebe und Beton besteht.«

Dabei sieht Dr. Christina ­Hagemeister in dieser Konstruktion Möglichkeiten für neue und moderne Klinker-Bauwerke. »Die Ziegelschale verstehen wir als Leuchtturm, der inspirieren soll. Die Technologie der Ziegelschale kann eingesetzt werden, um besondere Gebäudedetails in der Materialität der Ziegelfassade zu gestalten. Aktuell entwickelt der nächste Studentenjahrgang in Trier einen schwungvollen Überdachungsbau für den Einsatz an einer Bushaltestelle.«

Klinker liefert fortlaufend Inspiration für Gebäude-Gestaltung

Insgesamt denkt die Geschäftsführerin, dass die architektonische Gestaltungsvielfalt durch Klinker ein entscheidender Faktor für seinen Erfolg ist. »Wir produzieren zwischen 60 und 80 Mio. Klinker im Jahr und die Einsatzmöglichkeiten sind dabei total unterschiedlich. Klinker liefert so viel Inspiration und Architekten wissen diesen Baustoff zu schätzen«, so Hagemeister.

»Hier gibt es einige Paradeprojekte: Wenn es um Nachhaltigkeit geht, sind die Häuser 1 und 2 des ID Cologne ein gutes Beispiel, hier hat der Klinker besondere geforderte Nachweise zum Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit erfüllt. Wenn es um Individualisierung geht, nenne ich gern den Geistmarkt in Münster, bei dem durch ein Rillenprofil am Klinker eine horizontale Schraffur geschaffen wurde. Und wenn es um das Stadtbild geht, ist der Ort Odense in Dänemark ein gutes Beispiel. Hier wird der Ortskern bereits seit mehreren Jahren mit Pflasterklinkern von Hagemeister revitalisiert. Es ist einfach immer wieder spannend, was mit Klinker möglich ist und wie er ganz maßgebend für die Gestaltung von Lebensräumen eingesetzt werden kann. Daher freue ich mich auch schon so auf seine Zukunft und auf die vielen tollen Projekte, die wir mit unserem Unternehmen und unseren Produkten realisieren dürfen.«   J

[48]
Socials