Ziegel Zentrum: Auf den Spuren Alvar Aaltos

ProfessorInnen tagen in der Aalto University im Otaniemi Campus in Espoo bei Helsinki

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Jyväskylä und Säynätsalo waren von 4. bis 7. Juli das Ziel von über 40 Hochschul-ProfessorInnen der Architektur und des Bauingenieurwesens aus ganz Deutschland. Vortragende angesagter finnischer Architekturbüros und hochkarätige Referenten aus der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland kamen am 4. Juli an die Aalto University im Otaniemi Campus in Espoo bei Helsinki zur jährlichen Professoren-Tagung des Ziegel Zentrum Süd e.V. (ZZS), die erstmals komplett in englischer Sprache durchgeführt wurde. Innovativer und regionaler Geschosswohnungsbau prägte zwei finnische Vorträge, während öffentliche Bauten in monolithischer und mehrschaliger Ziegelbauweise bei drei weiteren Referenten den Schwerpunkt bildeten. Ziegelvorsatzschalen wurden auf hohem Niveau untersucht und ein zukunftsweisendes Forschungsprojekt zu Lehmhäusern vorgestellt. Die anschließende Exkursion führte – neben vielen aktuellen Bauten – zu Highlights der klassischen Architektur von Alvar Aalto in Helsinki, Jyväskylä und Säynätsalo.

Veikko Mäkipaja von Hannunkari & Mäkipaja Architects aus Helsinki präsentierte in seinem Vortrag „homes for everybody“ den aktuellen finnischen Sozialwohnungsstandard bei Geschosswohnungsbauten, deren Bewohner die langen nordischen Winter mit großzügigen Gemeinschaftssaunen und weiteren, gemeinsam nutzbaren Räumlichkeiten leichter überstehen. Vor Wind und Witterung schützende, verglaste Balkone, robuste Außenwandkonstruktionen mit Ziegelvorsatzschalen und großzügige Grünanlagen bestimmen das Bild der Wohnanlagen, die aus den typischen, bewaldeten Felslandschaften emporragen.

Joel Harris und Volker Kurrle von harris + kurrle architekten aus Stuttgart zeigten neben verschiedenen Projekten des Büros die preisgekrönte, neue Stadtbibliothek von Rottenburg. Dieses sorgfältig in die mittelalterliche Stadtstruktur eingefügte, bis zu fünfgeschossige, beeindruckende Bauwerk zeichnet sich durch seine weitestgehend monolithische Ziegelkonstruktion aus, die trotz Erdbebengebiet durchführbar war. Vor allem für finnische Fachleute stellt dies ein ziemliches Novum dar. Die hohe Qualität der Architektur überzeugt bei diesem außergewöhnlichen, neuen Literatur-Treffpunkt umso mehr!

Marco Zürn von Stern Zürn Architekten aus Basel erläuterte umfassend die Konstruktions- und Entwurfskriterien für Fallstudien von Lehmwohnhäusern, die an der TU Dresden mit Professor Wolfram Jäger entwickelt wurden. Statt Stampflehm sollen hier stranggepresste Adobe-Ziegel zum Einsatz kommen. Durch den Wegfall des Brennvorgangs soll der durch Energieeinsparmaßnahmen in der modernen Ziegelproduktion bereits dramatisch gesenkte Energieaufwand noch weiter reduziert werden. Eine Vielzahl an Fassadenlösungen sind für diese kostengünstigen zweigeschossigen Wohnbauten wählbar, für die Professor Jäger besonders warb.    

Volker Staab von Staab Architekten aus Berlin konzentrierte sich bei der Präsentation hochkarätiger Projekte seines seit vielen Jahren sehr angesehenen Büros auf Projekte in Ziegelbauweise in München, Ansbach, Regensburg und Potsdam. Die außergewöhnliche Entwicklung seines Oeuvres – von seinen ersten Museumsbauten in Nürnberg und Schweinfurt in den 90er Jahren über zahlreiche Universitätsbauten und weitere öffentliche und Sakralbauten – verdeutlicht die unglaubliche Schaffenskraft dieses charismatischen Architekten. Er freute sich besonders, über Wohnungsbau berichten zu können, mit dem sein Büro sich inzwischen ebenfalls befasst.
   
Pia Ilonen von Talli Architecture and Design aus Helsinki wiederum ist seit langem mit Wohnungsbau auf ihre ganz eigene Art und Weise befasst. Ihr Büro war 2018 auf der Biennale in Venedig mit „raw spaces“ vertreten. Stapelbare Wohnungen, die nach langem Kampf gebaut werden konnten. Die bis auf ein oder zwei Sanitärzellen leeren, zwei Geschosse hohen Wohneinheiten müssen selbst ausgebaut werden. Von Wohnungsbauexperten nicht erwartet, sind diese adaptierbaren, extrem kostengünstigen Apartments sehr erfolgreich und entwickelten sich zu einer viel besuchten, bunten Ideenmischung der sehr zufriedenen „self-building“-Nutzergruppe.

Ziemlich verspätet gelang es Jussi Palva von Verstas Architects aus Helsinki das komplexe Väre-Gebäude auf dem Otaniemi Campus vorzustellen, durch das er am folgenden Tag auch führte. Ein großes, modernes Gebäude im direkten Umfeld der ziegelroten Bauten von Alvar Aalto einzufügen, erforderte einiges Geschick, das von Verstas Architects durch ein clusterartiges Gebilde gelöst wurde, das nicht zu dominant einen neuen Platz begrenzt. Zwanglose Begegnungen, Flexibilität und Kollaboration zwischen zwei hochkarätigen Schulen bilden die Basis dieses zukunftsweisenden Konzepts mit attraktiven, mehrgeschossigen, überdachten Atrien.


Den Höhe- und Schlusspunkt dieser Professoren-Tagung setzte Jan Peter Wingender von OFFICE WINHOV aus Amsterdam. Sein absolut souveräner, auf höchstem Niveau auf Ziegelvorsatzschalen als „brick dresses“ blickender Vortrag, glänzte nicht nur durch exzellente Beispiele aus dem umfangreichen Repertoire von WINHOV, sondern beeindruckte auch durch detaillierte Kenntnisse sämtlicher gängigen oder innovativen Konstruktionsarten. In seinem Buch „Brick an exacting material“ sind diese anspruchsvoll dargestellt und erläutert, womit der Universitätsprofessor aus Amsterdam die intellektuelle Latte für die Lehre sehr hoch legt.

Exkursion in Helsinki und nach Jyväskylä und Säynätsalo

Die zweieinhalbtägige, nachfolgende Exkursion war prall gefüllt mit spannenden Projekten. Der erste Exkursionstag führte in Helsinki zum beeindruckenden Kaisa House, der Universitätsbibliothek von AOA aus dem Jahr 2012, die über einem lebhaften Supermarkt thront.  Das Wohngebäude Bysa & Sandis von JKMM Architects stand im Mittelpunkt des Besuches im neuen Stadtviertel Jätkäsaari, bei dem auch der für Musiker konzipierte achtgeschossige Wohnungsbau Jallukka von Talli Architecture and Design und Airut von Sauerbruch Hutton gestreift wurden. Die naturverbundene Otaniemi Kapelle von Siren Architects von 1957 bildete den Auftakt zum Spaziergang durch das Universitätsgelände von Otaniemi. Der Besuch der Klassiker von Aino und Alvar Alto mit einer Führung im berühmten Auditorium war für viele TeilnehmerInnen das Highlight des Tages. Jussi Palva zeigte das Väre-Gebäude, bevor die Gruppe im Wasserturm Haukilahti den Blick übers Meer fast bis nach Tallinn bei einem typisch finnischen Sommerbuffet genießen konnte.

Am Nachmittag führte Veikko Mäkipaja durch seinen Wohnungsbau in Viikinmäki und Pia Ilonen gewährte der 50-köpfigen Gruppe Zutritt zu ihrer viel bewunderten, selbst ausgebauten Wohnung im Tila Loft in Arabianranta. Nach diesen Eindrücken in modernem, mehrgeschossigen Wohnungsbau führte der Weg zu Alvar Aaltos Studio und Wohnhaus in Munkkiniemi in die bahnbrechende, ganz eigene Welt, die er mit seiner ersten Frau, Aino Aalto, in den 1920er Jahren begann und seine zweite Frau Elissa auch nach seinem Tod von 1976 bis 1994 weiterführte.

Der zweite Exkursionstag stand vollständig im Zeichen von Aaltos Arbeit und führte nach drei Stunden Fahrt zu den Universitätsbauten von Jyväskylä aus den Jahren 1953 bis 1956. Das Campusrestaurant, die Bibliothek, das Auditorium und Klassenräume und Labors konnten besichtigt werden. Das Rathaus in Säynätsalo bildete einen weiteren Höhepunkt, der nur von Aaltos Sommerhaus auf der Insel Muuratsalo, übertroffen werden konnte, dessen experimentelle Ziegelwände im Regenschauer unerwartete Farbenpracht entfalteten. Die Church of the Cross von Aalto auf einem Hügel über Lahti beeindruckte – von der Abendsonne mystisch überhöht – auf dem Rückweg.

Am letzten Tag machte eine Gruppe von 50 radfahrenden Architekturinteressierten Helsinki unsicher, auf dem Weg zum Haus der Kultur von Aalto, zur neuen Zentralbibliothek Oodi von ALA Architects, zum Kiasma Museum von Steven Holl und schließlich zur Fakultät für Sozialwissenschaften, wo der 83-jährige Architekt Juha Leiviskä persönlich durch die komplex sich durchdringenden Räumlichkeiten führte. Alvar Aaltos Wirken war während der Tage in Finnland sehr präsent und wird sicherlich durch Fotos und sehr fundierte Erkenntnisse aus der Tagung und der Exkursion von den TeilnehmerInnen in der Lehre weitere Verbreitung finden.

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