IBU: Kreislaufwirtschaft im Bauwesen: »Circularity Module« für EPDs schließen die Datenlücke

Mit dem europäischen »Green Deal« vom Dezember 2019 bekennt sich die Europäische Kommission zu einer Umgestaltung der Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft. Der gebauten Umwelt kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Der gesamte Lebenszyklus von der Errichtung über die Nutzung – inklusive Bewirtschaftung und Erhaltung – bis zum Rückbau des Gebäudebereichs steht deutschlandweit für ca. 40 Prozent des Materialeinsatzes, 52 Prozent des Abfallaufkommens und 40 Prozent der Treibhausgasemissionen. Insbesondere vor dem Hintergrund der langen Lebensdauer von Bauwerken wird der besondere Handlungsdruck in diesem Sektor deutlich. Aus diesen Gründen gehört das Thema Bauen und Renovieren zu den acht Kernmaßnahmen des »Green Deal«. Die nachhaltige Entwicklung hin zu einer energiesparenden und ressourcenschonenden Bauweise soll einen wesentlichen Beitrag leisten. Daten für die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen sollen die neuen »Circularity Module« für Umwelt-Produktdeklarationen liefern.

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Konkrete Anzeichen dieser Entwicklung sind die Diskussionen über BWR7+, d. h. über die Zusammenlegung, Neustrukturierung und inhaltliche Definition der nachhaltigkeitsrelevanten grundlegenden Anforderungen an Bauwerke, in denen auch das Ressourcenmanagement im Sinne einer Schonung der natürlichen Ressourcen sowie der effizienten Nutzung von Sekundärressourcen einfließen soll. »Für viele Aspekte der Nachhaltigkeit, wie z. B. den Schutz des Klimas durch Erfassung und Reduzierung von Treibhausgasen, hat sich die Ökobilanz als das Werkzeug der Wahl erwiesen«, erläutert Dr. Alexander Röder, Geschäftsführer des Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU). »Und darauf sollte sinnvollerweise aufgebaut werden.«

Aktuell bedeutet dies, die Datenbasis für eine zirkulare Wertschöpfung in der Bauwirtschaft durch entsprechende Anpassungen in der EPD zu erweitern, denn gemäß der EN15804 + A2 werden die Module C und D (Rückbau und Recycling) ab 2022 für die Mehrheit der Produkte verpflichtend. Damit ebnet sich der Weg von einer überwiegend linearen hin zu einer stärker ressourcenorientierten zirkularen Betrachtung. Diese Lücke soll in Zukunft das neue »Circularity Module« (CMEPD) schließen; konkrete Angaben zum Recycling bestimmter Produktgruppen und Materialtypen können dann in die EPD der entsprechenden Bauprodukte integriert werden, heißt es in einer Mitteilung des IBU.


»Circularity Module« als Datenbasis für die zirkuläre Wertschöpfung im Bauwesen

Die Systematik dazu wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes im Auftrag des Umweltbundesamts entwickelt und schließt so die derzeitige Datenlücke zu Recyclingpotenzialen von Bauprodukten. Allerdings haben Produkthersteller in der Regel wenig Informationen darüber, was mit ihren Produkten nach deren Nutzung geschieht, ebenso wenig wie über die Prozesse in den Recyclingunternehmen. Angaben zum End-of-Life bestehen deshalb derzeit meist aus Durchschnittsdaten gängiger Entsorgungsverfahren, wie beispielsweise Deponierung und Verbrennung, oder werden gänzlich weggelassen. Damit fehlen für viele Bauprodukte verlässliche Angaben zu ihrer Wiederverwendbarkeit bzw. ihrem Recyclingpotenzial.

Dies ändert sich mit dem »Circularity Module«. CMEPD werden in Zusammenarbeit mit Ökobilanzierern erstellt und basieren auf Daten von Recycling- und Entsorgungsunternehmen. Sie enthalten konkrete Angaben zum Recycling bestimmter Produktgruppen und Materialtypen und liefern den Produktherstellern damit die für die EPD-Erstellung benötigten Ökobilanzergebnisse für die verschiedenen End-of-Life-Prozesse. Damit ein EPD-Ersteller das passende Szenario für sein Produkt wählen kann, werden außerdem Annahmebedingungen für Reststoffe sowie Informationen zur ordnungsgemäßen Installation beschrieben. So zeigt die CMEPD, wie ein Bauprodukt nach dessen Ausbau verwertet oder entsorgt wird, und ermöglichen damit die recyclinggerechte Planung und Realisierung von Gebäuden sowie deren vollständige ökologische Bewertung. CMEPD liefern darüber hinaus die Ökobilanzdaten für Sekundärrohstoffe.

»Circularity Module« bieten zudem Potenziale für die Entsorgungsbranche

Auch für Recycling- und Entsorgungsunternehmen liege hierin eine Chance: Die strukturierte Bereitstellung von Materialanforderungen und Daten zu Aufbereitungsprozessen entwickelt sich zu einem zukunftsfähigen Geschäftsfeld, das die Entsorgung sowie Aufbereitung von rückgebauten Materialien und die Gewinnung von Sekundärrohstoffen wirkungsvoll unterstützen wird. Ein standardisiertes Format zur Bereitstellung dieser Materialdaten sorgt für Transparenz und einfache Anwendbarkeit und durch den Informationsaustausch zwischen Herstellern und Recycling- bzw. Entsorgungsunternehmen können Stoffströme positiv beeinflusst und Recyclingraten verbessert werden.     J

Interview | Hans Peters zur Bedeutung des »Green Deal« für die Bauwirtschaft

Das gesamte Thema »Green Deal« ist komplex – Hans Peters, Vorstandsvorsitzender des IBU hat dem baustoffPARTNER daher einige grundlegende Fragen beantwortet, zum Beispiel, was der »Green Deal« für die Bauwirtschaft bedeutet:

»Der Green Deal wird uns massiv beeinflussen. Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist einer der zentralen Bereiche des Green Deals. Die Klimaneutralität der Gebäude – Neubau und Bestand – bis 2050 ist einer der Kernpunkte des Programms. Dies bedeutet einerseits erhebliche Anstrengungen für die Immobilienwirtschaft, andererseits aber auch große Chancen für die Bauwirtschaft. So muss beispielsweise die Sanierungsrate von Gebäuden mindestens verdoppelt, besser verdreifacht werden. Dafür stehen bereits heute Materialien und Methoden bereit. Aber eins ist auch klar: Es besteht ein Zielkonflikt zwischen energetischer Sanierung und der Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Ohne Unterstützung, d. h. positive Rahmenbedingungen, wird das nicht gelingen. Dies müssen sowohl Förderprogramme sein wie auch steuerliche Anreize, die insbesondere für die Immobilienwirtschaft entscheidend sein werden.«

Welche konkreten Auswirkungen für die Bauwirtschaft sind zu erwarten?

»Wir werden zu einer grundsätzlichen Neuorientierung kommen. Waren bisher der Bau und die Bewirtschaftung eines Gebäudes i. d. R. zwei unterschiedliche Wirtschaftsbereiche, so werden diese deutlich mehr als bisher zusammenwachsen. Das Stichwort dazu lautet ›Lebenszyklusanalyse‹. Ein Bauwerk wird schon von der Projektierung an über seinen gesamten Lebensweg – von der Planung bis zum möglichen Abriss – betrachtet werden.«

Und diese Gesamtbetrachtung sei zwingend notwendig, wie Hans Peters weiter erläutert:

»Der ›Green Deal‹ erzwingt zwei wesentliche Änderungen für die Gebäudebewertung: erstens die Klimaneutralität und zweitens eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Neu ist, dass wir bereits die Energie- und Ressourcenaufwendungen für die Bauprodukte und die Erstellung des Bauwerks mit in die Gebäudebilanz einbeziehen müssen. Hinzu kommen dann die Energie- und Materialaufwendungen während der Nutzungsphase sowie das Wissen über die Wieder- oder Weiterverwendung der Bauprodukte und -materialien. Klimaneutralität wird nicht ohne die Kreislaufwirtschaft gelingen und diese nicht ohne ein funktionierendes Ressourcenmanagement, das zu jedem Zeitpunkt die Information über Energie- und Materialaufwand und -zustand aller verbauten Bauprodukte liefern kann.«

Doch wie kann die Ressourceneffizienz verbessert werden?

»Wir benötigen eine umfassende Bestandsaufnahme. Wir brauchen die Analyse und Dokumentation aller Materialmengen, -eigenschaften und -flüsse und wie deren Wiederverwendungsmöglichkeiten aussehen. Bedeutsam wird werden, welchen – qualitativen und quantitativen – Recyclinganteil ein Bauprodukt hat. Diese Analysen werden dann das Fundament für Programme zur Planung und Bewirtschaftung von Gebäuden.«

Bedeutet das nicht eine immense Umstellung für Bauprodukte-Hersteller, Architekten, Ingenieure sowie die Immobilienbranche?

»Die Antwort lautet überraschend ›Nein‹. Schauen wir uns die Bauwerkebene an: Der zentrale Bestandteil der Analyse- und Bewertungsmethoden der Gebäudezertifizierer wie der der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen oder der des Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen des Bundes ist bereits die Lebenszyklusanalyse. Die Informationsverarbeitung wird natürlich nur mittels der EDV gelingen – dafür ist BIM bestens geeignet, es hat die Startlöcher dazu bereits verlassen. Und last but not least haben wir die bereits etablierten Umwelt-Produktdeklarationen (EPD), die mittels einer genauen Öko-Bilanz bereits die notwendigen Informationen über den Energie- und Ressourcenaufwand liefern. Und genau diese EPDs werden aktuell um die Ressourceninformationen während und nach der Nutzungsphase erweitert. Wir sind also gerüstet.«

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Institut Bauen und Umwelt e.V.

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