„Wie baut man in Zeiten von Flächenfraß, Artensterben und Klimawandel ein umweltfreundliches Lager?“ fragte sich Dirk Lütvogt, damaliger Geschäftsführer des in vierter Generation geführten Familienbetriebes aus dem Kreis Diepholz, das „Nachhaltigkeit“ in seinen Unternehmensgrundsätzen verankert hat. Darum war Dirk Lütvogt auch sofort begeistert von der Gründach-Idee, die während der Planungsphase für die neue Halle mit dem zuständigen Diepholzer Fachdienstleiter für Kreisentwicklung, Detlef Tänzer, zur Sprache kam. Dass sich hieraus sogar eine Kooperation mit der Hochschule Osnabrück ergab, hing auch mit dem Dachbegrünungshersteller ZinCo und dessen gemeinsamen Projekt mit der Hochschule zusammen. Dirk Lütvogt bewies großes Engagement und setzte die Ideen gemeinsam mit allen Projektbeteiligten in die Tat um.
Wissenschaft und Praxis
Das Team um die Wissenschaftler Prof. Dr. Kathrin Kiehl, Dr. Roland Schröder und Daniel Jeschke forscht seit Januar 2017 an dem vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und dem Land Niedersachsen geförderten Projekt „Roofs For Biodiversity“ (RooBi) mit dem Ziel herauszufinden, welche Pflanzenarten der Nordwestdeutschen Sandtrockenrasen sich für Dachbegrünungen jenseits einer konventionellen Sedumbegrünung eignen. Im Endeffekt geht es um die Schaffung neuer Lebensräume auf dem Dach zur Sicherung und Förderung gebietseigener Flora und Fauna.
„Lebensräume für viele heimische Wildpflanzen und -tiere schrumpfen leider fortschreitend durch Intensivierung und Aufgabe von Landnutzung sowie städtische Verdichtung“ erläutern Dr. Roland Schröder und Daniel Jeschke die Hintergründe. „Wesentlich für die Erhaltung der Biodiversität sind sowohl Artenvielfalt als auch die genetische Vielfalt der Wildpflanzen, die sich etwa in regional unterschiedlichen Blütezeiträumen widerspiegelt. Wildpflanzen liefern z. B. Pollen und Nektar für 350 niedersächsische Wildbienenarten, unter denen es zahlreiche spezialisierte Arten gibt“.
Für die Forschung an den Wildpflanzen standen bisher 54 Versuchsflächen auf dem Dach des Bibliotheks- und Hörsaalgebäudes am Campus zur Verfügung. Zu diesen 500 m² gesellen sich nun unschlagbare 10.000 m² Dachfläche auf dem neuen Warenlager der Firma Lütvogt. „Für uns ist das auch ein Pilotprojekt. So groß hat es das noch nicht gegeben“, betont Prof. Dr. Kathrin Kiehl. Die Finanzmittel für den Bau der Versuchsflächen und die Durchführung des bis 2020 laufenden RooBi-Projekts kamen vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung sowie vom Land Niedersachsen. Mit dieser Unterstützung und hohen eigenen Finanzmitteln konnte Dirk Lütvogt das regionaltypische Biodiversitäts-Gründach genau so umsetzen, wie für das Forschungsprojekt notwendig.
Unterschiedliche Aufbauten im Experiment
Zum Einbau kamen die bereits im gemeinsamen Projekt mit der Hochschule Osnabrück erprobten Systemvarianten zur Realisierung dieses speziellen Typs eines Biodiversitäts-Gründaches (Sandtrockenrasen), welche der erfahrene Dachgärtner Garten- und Landschaftsbau Gröne aus Dinklage fachmännisch ausführte. Auf der abgedichteten und 2 % geneigten Brettschichtholzkonstruktion, erfolgte dies im Herbst 2019 über einen Zeitraum von zwei Monaten.
Die Wissenschaftler teilten das Dach in unterschiedliche Teilflächen, um das Wachstum heimischen Saat- bzw. Rechguts in Abhängigkeit verschiedener Substrat- und Bewässerungsmengen zu beobachten und schließlich die beste Kombination zu finden. Umgesetzt wurden dabei Systemvarianten mit den Wasserverteil-, Speicher- und Dränelementen Aquatec AT45 und darüber hinaus mit der Dränage-Rollenware Fixodrain XD 20.
Kostbares Saatgut
Auf abgegrenzten Bereichen wurden als hochwertigste Form der Vegetationsansiedlung zertifiziertes gebietseigenes Saatgut und samenhaltiges Rechgut aus Sandtrockenrasen der Region, das auch Moose und Flechten enthielt, auf den vorbereiteten Substratflächen ausgebracht. Ergänzend wurden Sedum-Sprossen gebietseigener Herkunft verwendet. Genau diese regionaltypischen Arten der Nordwestdeutschen Sandtrockenrasen stellen das passende Nahrungsangebot für viele heimische Tierarten dar. Diese nutzen das Angebot aber nur, wenn sie auch Unterschlupf auf dem Dach finden, denn Wildbienen z.B. haben einen Aktionsradius von wenigen 100 Metern. Daher wurden auch vegetationsfreie Flächen wie Sandlinsen, Totholz und kleine Wasserflächen als Lebensraum und Brutstätten angelegt. Über eine besonders augenscheinliche Brutstätte dürfen sich die Störche freuen, denn ihr Nest thront über allem.
Das soll auch in Zukunft wachsen
Das „Biodiversitäts-Gründach“ der Firma Lütvogt ist bisher einzigartig – nicht nur in seiner Dimension, sondern vor allem hinsichtlich des Ansatzes zur regionaltypischen Artenvielfalt. Im Rahmen des kürzlich bewilligten Forschungsprojekts „DaLLî – Extensive Dachbegrünungen in urbanen Landschaften als Lebensraum für Insekten“ (im Bundesprogramm Biologische Vielfalt) werden die Wissenschaftler aufschlussreiche Ergebnisse gewinnen sowohl zu den Wildpflanzen als auch in Bezug auf den Tierbestand, der auf diesem Dach Heimat finden wird.
„Herzlich willkommen“ werden in Zukunft auch alle interessierten Besucher sein – geplant sind nämlich eine Aussichtsplattform sowie eine Dauerausstellung.
Das Netzwerk der Friedich Lütvogt GmbH & Co. KG umfasst zudem eine Partnerschaft mit der Berliner Stiftung für Mensch und Umwelt im Projekt „Deutschland summt!“ Dieses regionaltypische Biodiversitäts-Gründach wird sich über die Jahre etablieren und hoffentlich nicht nur viele Wildbienen anziehen, sondern auch jede Menge Nachahmer.