Als Alexander Sinner am 1. September 2001 den Vertrieb für Austrotherm in Deutschland übernahm, war das eine »reine One-Man-Show«. Er habe sich ganz langsam von Süden in die Mitte vorgearbeitet, erinnert sich der Vertriebsprofi, der seit 2016 Geschäftsführer der deutschen Austrotherm-Niederlassung ist. Sinner nutzte damals die »Gunst der Stunde« – der Markt für extrudiertes Polystyrol (XPS) befand sich gerade in der Umstellungsphase von der vergleichsweise klimaschädlichen HFKW-Schäumung zur CO2-Schäumung. Da CO2-geschäumtes XPS lange Ablagerungszeiten von bis zu sechs Monaten hatte und deshalb nicht sofort formstabil verkauft werden konnte, hatten einige Wettbewerber mit Lieferproblemen zu kämpfen. »Wir haben uns entsprechend lange im Vorfeld vorbereitet und ausreichende Lagerkapazitäten aufgebaut«, so Alexander Sinner. Damit war ein sehr guter Einstieg in den Markt möglich und am Ende konnte Austrotherm etwa doppelt so viele XPS-Dämmstoffplatten wie ursprünglich geplant verkaufen.
Mit der Ausweitung des Geschäfts in Deutschland wuchs auch der Bedarf nach einer eigenen Produktion. So kam es 2012 zur Gründung der Tochtergesellschaft im brandenburgischen Wittenberge, die dann Ende 2013 auch die eigene XPS-Produktion aufnahm. Seither werde der deutsche Markt sowohl vom burgenländischen Werk in Purbach als auch von Wittenberge aus beliefert. »Die XPS-Auslieferung ist nur in einem Radius von maximal 1 000 km wirtschaftlich sinnvoll«, erläutert Alexander Sinner. Um die gestiegene Nachfrage zu bedienen, wurde 2018 eine weitere Produktionsanlage in Wittenberge in Betrieb genommen. Zuletzt wurde für knapp 3 Mio. Euro eine PV-Anlage auf dem Produktionsgelände installiert, die rund 20 Prozent des jährlichen Energiebedarfs abdeckt.
XPS-Markt zwischen Stabilisierung und Umbruch
Die Baukrise der letzten Jahre hat aber auch bei Austrotherm Spuren hinterlassen. »Wir mussten auch Rückgänge verzeichnen«, so Sinner, »wenn auch in deutlich geringerem Umfang als andere Dämmstoffe wie etwa EPS. Wir konnten das Level trotz Baukrise relativ gut halten.« Aktuell stabilisiert sich die Lage wieder, in diesem Jahr plant Alexander Sinner mit einem leichten Plus bei der Absatzmenge. Angesichts des enormen Kostendrucks – u. a. durch höhere Personal- und Transportkosten – sowie sinkender Margen
musste das Unternehmen eine Preiserhöhung für sein XPS-Sortiment vornehmen.
»Aktuell steht der XPS-Markt allerdings wieder vor einer Veränderung«, so Sinner. Einige Wettbewerber seien aus dem Segment ausgestiegen, dafür seien wiederum einige Neueinsteiger auf dem Markt erschienen. »Wie sich da auf lange Sicht eine Balance einspielt, bleibt abzuwarten. Sicherlich wird aber ein hoffentlich baldiges Ende des Krieges in der Ukraine noch einmal eine Dynamik ins Spiel bringen«, so die Prognose von Sinner.
Neuer Fokus auf die »Uniplatte«
Auch innerhalb der deutschen Austrotherm-Niederlassung gab es in diesem Jahr eine Umstrukturierung – nachdem Alexander Sinner seit 2016 die Geschäftsführung zusammen mit seinem Kollegen Lars Peter gebildet hatte, ist Sinner nun seit dem Sommer alleinverantwortlicher Geschäftsführer. Sein stark auf den Vertrieb ausgerichtetes Jobprofil hat sich dadurch deutlich verändert. Dazu gekommen ist jetzt insbesondere die komplette Steuerung des Werks in Wittenberge. »Für mich fühlt es sich an wie ein neuer Job«, so Alexander Sinner, der vorher im Frankfurter Raum noch ein eigenes Vertriebsgebiet betreute. Dies ist mit dem neuen Aufgabenvolumen nicht mehr möglich. Man werde deshalb den ohnehin sehr schlank aufgestellten Vertrieb personell aufstocken.
Ein weiteres Thema, das Austrotherm in Deutschland neben seinem Kerngeschäft seit zwei Jahren forciert, ist das Badsortiment rund um die »Uniplatte« – ein wasserdichtes Trägerelement aus XPS mit beidseitiger Textilglasgitter-armierter Spezialmörtelbeschichtung.
Zusammen mit dem »Shower Board« (barrierefreies Duschelement aus XPS mit PU-Quarzsand-Beschichtung) lassen sich damit moderne Badlandschaften mit Wandnischen, Trennwänden, Sitzbänken bis hin zu bodengleichen Duschen gestalten. Mit Matthias Fehring wurde für den Produktbereich »Austrotherm Uniplatte und Badlösungen« ein eigener Spartenleiter installiert, der zusammen mit einem zusätzlichen Vertriebsmitarbeiter das Sortiment strategisch weiterentwickeln soll.
Im ersten Quartal 2026 soll die »Uniplatte« mit einer neuen, optimierten Oberflächenbeschichtung gelauncht werden. »Wir wollen so neue Anwendungen wie das fugenlose Bad ermöglichen und damit die modernen Badtrends aufgreifen, in denen immer weniger mit Fliesen gearbeitet wird«, erläutert Alexander Sinner die Zielrichtung. Gemeinsam mit dem ebenfalls zur österreichischen Schmid-Industrie-Holding gehörenden Bauchemie-Produzenten Murexin hat man für die »Uniplatte« ein geprüftes System entwickelt, das man gemeinsam vermarkten will. Aber auch darüber hinaus sollen die Synergien im Konzern stärker genutzt werden. Dies gilt insbesondere für das Thema »serielles Bauen«. Hier sind für die nähere Zukunft eigene Lösungen geplant, bei denen Austrotherm, Murexin, Baumit und andere Mitglieder der Schmidt-Industrie-Holding eng miteinander kooperieren werden.
Was Handel und Politik tun können
Die Weichen für die Zukunft bei Austrotherm sind gestellt. Dies gilt auch für die Vertriebspolitik, bei der sich Austrotherm von Anfang an als »Partner des Handels« gesehen hat. Dies soll nach Ansicht von Alexander Sinner auch weiterhin so bleiben. »Wir wissen, wie wir in Deutschland gewachsen sind.« Mit vielen Kunden pflegt Austrotherm eine langjährige Partnerschaft. Gleichzeitig sieht Sinner die Entwicklung auf Handelsseite mit Sorge – immer kleinteiligere Aufträge und ein Fachkräftemangel, durch den die Beratungstätigkeit zusehends auf die Industrie verlagert werde, seien zu beobachten. »Der Handel muss darauf achten, seine Kernaufgaben – die Beratungs- und die Handelsfunktion – wieder verstärkt zu leben«, so Sinner.
Auch von der Politik erwartet Alexander Sinner neue Impulse. »Allein der Bau-Turbo wird nicht reichen. Viel wichtiger wäre es, die ganzen Auflagen und bürokratischen Vorgaben massiv zu verschlanken. Viele Menschen haben heute überhaupt keine Lust mehr, sich angesichts der ganzen Auflagen mit dem Thema Hausbau zu beschäftigen.« Doch es gibt auch Anzeichen dafür, dass die Talsohle erreicht ist. Die Baugenehmigungen steigen wieder, auch die Banken erhalten verstärkt Finanzierungsanfragen. Die Ausgangslage für einen zarten Aufschwung im kommenden Jahr sieht also nicht so schlecht aus.